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——— Die Pflanzen des Gewächshauses hingen entwurzelt in der Luft. Einige lagen auf dem Boden. Raquel hat sie – wahrscheinlich mit Hilfe von ihrer Familie – alle aus den Töpfen gehoben. Die Erde lag überall verschüttet auf dem Boden. Für den Abend des Abschieds sollten die Pflanzen von der Erde, in der sie gedeihen, getrennt werden. Es war eine Visualisierung der Entwurzelung – des Abschieds für die Menschen, die gekommen waren.
Die Topfpflanze ist ein Bild des modernen Stadtleben von Menschen, die entwurzelt sind. Sie müssen oft umziehen und tragen die Erde in den Töpfen mit sich. Sie symbolisieren die ständig gefühlte Enteignung.
In der Mitte stand das blaue Sofa – auf den in den letzten Jahren viel geredet, nachgedacht und heiß diskutiert wurde. Daneben ein Tisch mit Obst. Orangen, Pflaumen, halbierte Grapefruits und Granatäpfel waren auch auf dem Boden zerstreut, was eine Art Verschwendung darstellte: all die schönen Früchte, die niemand mehr essen wird…
Auf der Empore begann der ukrainische Chor auf baskisch zu singen. Unten im Saal schritten Menschen im Kreis mit einem Stock, den sie im Schritttempo in den Boden stampften. Immer mehr Menschen kamen dazu. Es waren enteignete Wanderer.
Es wurden Samen verteilt und Luis gab uns Erde in kleinen Töpfen.
Friederike kam in Person des Mülls. Sie will nicht ins Meer geworfen werden, sie will nicht nach Vietnam verschifft werden, sie will nicht überall auf der Erde verstreut sein. Sie will nicht verbrannt werden. Sie ist unsere Mutter-Müll auf unserer Mutter Erde. Recycling hat etwas Archaisches.
Diego legte versunken Musik auf und schaute nur selten zu dem Publikum.
Am Ende konnte man die Pflanzen mit nach Hause nehmen, was auch eine Art Trost darstellte und die Hoffnung symbolisierte, dass in irgend einer Form das Gewächshaus weiter leben wird. In einer verstreuten Form bei verschiedenen Menschen zu Hause und vielleicht nur in Erinnerung. Erde und Erbe.
Die meisten Pflanzen 🌱 nahm die Fotografin Anastasiia mit, ihr Mann Yurij half ihr die Pflanzen zu tragen und auch die Erde nahmen sie mit. Wahrscheinlich tat sie es deshalb, weil ihr Mann Seefahrer ist und sie diese Idee der Entwurzelung so klar und intensiv gespürt hat.
Heute Morgen bin ich aufgestanden und sah zwei große neue Pflanzen im Wohnzimmer und es war so als hätte ich ein Stück Gewächshaus bei mir. ———
Eine Rezension von Marina Gerber
ERDE & ERBE
Installation, Performance, Screening, Dinner
von S I N D

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2014 - 2024

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——— Die Pflanzen des Gewächshauses hingen entwurzelt in der Luft. Einige lagen auf dem Boden. Raquel hat sie – wahrscheinlich mit Hilfe von ihrer Familie – alle aus den Töpfen gehoben. Die Erde lag überall verschüttet auf dem Boden. Für den Abend des Abschieds sollten die Pflanzen von der Erde, in der sie gedeihen, getrennt werden. Es war eine Visualisierung der Entwurzelung – des Abschieds für die Menschen, die gekommen waren.
Die Topfpflanze ist ein Bild des modernen Stadtleben von Menschen, die entwurzelt sind. Sie müssen oft umziehen und tragen die Erde in den Töpfen mit sich. Sie symbolisieren die ständig gefühlte Enteignung.
In der Mitte stand das blaue Sofa – auf den in den letzten Jahren viel geredet, nachgedacht und heiß diskutiert wurde. Daneben ein Tisch mit Obst. Orangen, Pflaumen, halbierte Grapefruits und Granatäpfel waren auch auf dem Boden zerstreut, was eine Art Verschwendung darstellte: all die schönen Früchte, die niemand mehr essen wird…
Auf der Empore begann der ukrainische Chor auf baskisch zu singen. Unten im Saal schritten Menschen im Kreis mit einem Stock, den sie im Schritttempo in den Boden stampften. Immer mehr Menschen kamen dazu. Es waren enteignete Wanderer.
Es wurden Samen verteilt und Luis gab uns Erde in kleinen Töpfen.
Friederike kam in Person des Mülls. Sie will nicht ins Meer geworfen werden, sie will nicht nach Vietnam verschifft werden, sie will nicht überall auf der Erde verstreut sein. Sie will nicht verbrannt werden. Sie ist unsere Mutter-Müll auf unserer Mutter Erde. Recycling hat etwas Archaisches.
Diego legte versunken Musik auf und schaute nur selten zu dem Publikum.
Am Ende konnte man die Pflanzen mit nach Hause nehmen, was auch eine Art Trost darstellte und die Hoffnung symbolisierte, dass in irgend einer Form das Gewächshaus weiter leben wird. In einer verstreuten Form bei verschiedenen Menschen zu Hause und vielleicht nur in Erinnerung. Erde und Erbe.
Die meisten Pflanzen 🌱 nahm die Fotografin Anastasiia mit, ihr Mann Yurij half ihr die Pflanzen zu tragen und auch die Erde nahmen sie mit. Wahrscheinlich tat sie es deshalb, weil ihr Mann Seefahrer ist und sie diese Idee der Entwurzelung so klar und intensiv gespürt hat.
Heute Morgen bin ich aufgestanden und sah zwei große neue Pflanzen im Wohnzimmer und es war so als hätte ich ein Stück Gewächshaus bei mir. ———
Eine Rezension von Marina Gerber
ERDE & ERBE
Installation, Performance, Screening, Dinner
von S I N D
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2014 - 2024
